Neues lernen durch neues Lernen
–Am 8. August 2019Unser erster Blog begann mit den Worten: "Wir haben in den letzten Jahren vieles gelernt." Aber wie lernt man eigentlich? Am besten? Als Organisation? Von einander? Von den Besten? Ohne Frust? Voller Neugier mit vielen Fragen?
Wenn die SPD nicht schon 2013 den Slogan „Das Wir entscheidet“ (geklaut und) versenkt hätte, könnte man versucht sein, die aktuellen Entwicklungen und Trends zum Thema Lernen unter dieses Motto zu stellen. Zumindest fasst es den Großteil der neueren Erkenntnisse in diesem Bereich grob zusammen. Sowohl im schulischen Bereich als auch in der beruflichen Bildung. Die ansonsten oft auch mit der, vernichtend gemeinten, Kritik Roger Schanks zusammengefasst werden konnte: „It’s just like school.“
SPD gedisst. Check. Schule gedisst. Check. Damit wären zwei absolut zeitgemäße Punkte abgehakt. Aber wie sieht eine konstruktive Auseinandersetzung mit zeitgemäßem Lernen aus? Fest steht, dass sie notwendig ist.
New Work lernt man nicht oldschool
Einerseits gewinnt wissensintensive Arbeit immer mehr an Bedeutung. Andererseits werden weiche Faktoren wie Kreativität, Kollaborationsfähigkeit und Empathie in der täglichen Arbeit noch unverzichtbarer. Denn von Maschinen können sie nicht übernommen werden. Wer in dieser veränderten Arbeitswelt zukunftsfähig sein will, muss lernen. Und zwar nicht abgeschlossene Inhalte in vorgegebenen Abläufen: Für die Definition eines Lernbedarfs und die anschließende Produktion von Inhalten (egal ob klassische Lehrmittel, digitale Angebote oder Vor-Ort-Seminare) sind Wirtschaft und Gesellschaft längst viel zu volatil geworden. Wir sind es gewohnt, hochspezialisiertes Wissen jederzeit von unterwegs abrufen zu können. Und wir sind es gewohnt, dass dieses Wissen vielleicht schon morgen nicht mehr aktuell ist.
Intellektuelle Gruppen-Masturbation
Aber reicht es, dass wir es einfach gewohnt sind? Oder sollten wir nicht vielmehr in der Lage sein, aktiv in diesen Situationen zu navigieren? Denn wer bewusst mit seinem individuellen, individualisierten Wissenserwerb umgehen kann, lernt auf jeden Fall effektiver. Eine „starke Korrelation zwischen Autonomie und Erfolg“ beim Lernen wird nicht nur von Jane Hart postuliert. Außerdem eröffnet die Abkehr von standardisierten Lernprozessen die Möglichkeit, sich auf neue Anforderungen zu konzentrieren.
Also eine Lernumgebung – besser noch -kultur –, die als konnektives Framework die angesprochene, ganz individuelle Entwicklung ermöglicht, aber im besten Fall noch einen Community-Gedanken, sprich Teambuilding mit sich bringen kann? Jane Hart nennt es „Social Learning“. Das meint „situatives Lernen von und mit anderen, als gegenseitigen Wissensaustausch“.
Sharon Bowman fasst diesen Ansatz in einem programmatischen Buchtitel zusammen: „Training from the BACK of the Room!“ Sie ordnet die Möglichkeiten des Lernens in fünf Stufen ein:
1. Das Verteilen von Texten und Handouts
2. Der mündliche Vortrag durch einen Lehrer oder Coach
3. Die Präsentation mit multimedialer Unterstützung
4. Die gemeinsame Diskussion von Konzepten oder das Training von Fähigkeiten
5. Das Lernen in der Gruppe unter- und voneinander
Wer überrascht ist, dass Bowman hier eine steigende Effektivität von 1. bis 5. verortet, sollte sich vielleicht noch einmal die Mühe machen, diesen Beitrag von vorne zu lesen. Doch wie geht man mit diesen Erkenntnissen und den daraus folgenden Herausforderungen nun um? „Training from the BACK…“ liefert 65 sehr konkrete Vorschläge, Wege und Werkzeuge, wie man „zur Seite treten“ und „sie lernen lassen“ kann. Und so überzeugt ich von diesen Ideen und ihrer Anwendbarkeit bin, greifen sie grundsätzlich vielleicht einen Schritt zu spät.
Selber machen lassen
Denn um auf diese Weise lernen zu lassen, um zur Seite zu treten, erfordert es bereits eine sehr grundsätzliche Einstellung und Bereitschaft von demjenigen, der ein Team oder einen Workshop leitet. Der Anspruch an die eigene Führung und Expertise ist nämlich ein völlig anderer. Die Idee von Führung als Coaching steht an dieser Stelle sowieso bereits völlig außer Frage. Doch welche Art von Coaching? Es geht um ein agiles, ergebnisoffenes, unsicheres Vorgehen, das eventuell zu Beginn noch ohne festgeschriebene Agenda auskommt.
Für Führungskräfte, Coaches und Moderatoren, die bislang darauf gesetzt haben, ein Team zum Ergebnis, sprich Lernerfolg zu führen, entsteht mit der Idee, das bestehende Wissen der Gruppe zu erschließen, eine völlig neue Herausforderung. Wenn es dem interdisziplinärem Wissen der Lernenden kreative Antworten auf komplexe Fragen entstehen können, welches Wissen bringt der (bislang oft auf Anerkennung seines hohen Wissensstandes bedachte) Coach dann mit? Die Antwort: prozessuales. Aus den klaren Strukturen, in denen bislang Wissen vermittelt und damit vermeintlich gelernt wurde (Bulimie-Lernen), wird ein flexibler Prozess, in dem es darauf ankommt, schnell die passenden nächsten Schritte definieren zu können. Etwa in Form der richtigen Arbeitsmethode, des anschaulichen Erklärungsmodells, der zielführenden Matrix.
Und es gibt sie doch: mögliche Lern-Rahmen
Bei Design-Thinking-Teams lässt sich in diesem Zusammenhang ein Lerneffekt beim Lernen beobachten. Gruppen, die noch nicht mit dem Ansatz vertraut sind, brauchen bei der Einordnung und Interpretation ihrer Daten und Ideen immer wieder Hilfestellung und Hinweise auf eine mögliche Matrix. Erfahrene Gruppen greifen auf einen großen, diversen Erfahrungsschatz zurück und – fail early and often – wechseln schnell das Ordnungssystem, wenn sie etwa in der Phase der Problemdefinition nicht weiterkommen.
Profis, und hier kommen wir auf die mögliche Rolle des Lehrenden zurück, entwickeln gemeinsam eine neue, passende Matrix für die vorhandenen Daten.
Eingedenk der Tatsache, dass Design Thinking im Innersten auf radikaler Kollaboration beruht, ist es kein Wunder, dass sich der Ansatz über den Hype hinaus großer Beliebtheit erfreut. Wenn die Idee des Design Thinking als Mindset wirklich ernst genommen wird, steht nicht nur ein gut dokumentierter Methodenkoffer zur Verfügung, sondern auch eine zeitgemäße Einstellung zum Lernen.